Schwalmstadt-Ziegenhain, Schloss

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Bezeichnung, Eigentümer, Kreis

Land Hessen. Gefängnis. Schwalm-Eder-Kreis.

Bauherr, Grunddaten, Zustand

Landgraf Philipp der Großmütige, 1537–46. Spätmittelalterlicher Kern (Ostteil des Nordflügels). Gefängnisumbau u. a. 1926–30.

Geschichte

Die Grafschaft Ziegenhain fiel 1450 an die Landgrafen von Hessen, die das Schloss in der folgenden Zeit ausbauen ließ. Ziegenhain wurde ab 1537 zur größten hessischen Landesfestung ausgebaut, die während des Schmalkaldischen und des dreißigjährigen Krieges nicht eingenommen werden konnte. Schleifung der Festung unter napoleonischer Besetzung 1807. Seit 1842 Nutzung als Gefängnis.

Baugeschichtliche Bedeutung

Das heutige, seit 1842 als Zuchthaus bzw. Strafanstalt benutzte Schloss, entstand 1537–46 als Schloss- und Festungsneubau (Bautagebücher, vgl. Brohl 1992), vermutlich unter Verwendung eines dreigeschossigen mittelalterlichen Steinhauses im Nordosten der heutigen Anlage. Die Rechnungsführung oblag Heinz von Lüder. Baumeister war 1537 Balthasar von Germersheim, der auch in Rüsselsheim und Gießen tätig war (Brohl, Bautagebücher, 1992), sein etwaiger Anteil am Schlossbau ist nicht überliefert. Erweiterungen erfolgten im 17. Jahrhundert. Das Schloss besteht aus fünf unregelmäßig um einen Innenhof gelegten Flügeln. Es handelt sich um den Südwestflügel, der dem Paradeplatz zugewandt ist, und den im rechten Winkel daran anstoßenden Südostflügel als vorgelagerte Eingangsbauten, den spät hinzugefügten Westflügel, und schließlich das winkelförmige Herrenhaus aus dem Nordflügel und dem Ostflügel mit dem Schlossturm an der Außenseite. Ostflügel und südöstlicher Eingangsflügel sind durch einen zweigeschossigen Zwischenbau verbunden. Der Nordflügel besteht aus zwei Teilen, einem viergeschossigen Eckbau, der an den Ostflügel anschließt und einem dreigeschossigen westlichen Bauteil. Auch alle übrigen Flügel sind dreigeschossig. Alle Bauteile sind massiv, verputzt. Das Obergeschoss des Nordflügels ist verschiefert, wohl aus Fachwerk, die Turmobergeschosse sind aus Fachwerk, verschiefert. Der Südwestflügel ist sieben Fensterachsen breit, zwischen den vier linken Achsen im Erdgeschoss Strebepfeiler. Mit etwas Abstand folgen die drei rechten Fensterachsen, in der 3. Achse von rechts spitzbogiges Portal in rechteckigem Rahmen. Über dem Rahmen tympanonartiger Halbkreisaufsatz mit dem Ziegenhainer Wappen zwischen einem Löwen und einen Steinbock. Links vom Portal sowie in der linken Fensterachse je ein Inschrifttafel aus dem Jahr 1537, lt. Dehio, Hessen, 1982 von Walltoren der Festung stammend. Alle Fenster des Baues sind gekuppelte Zwillingsfenster, mit Falz und tief gekehltem Karnies profiliert. Am unteren Ende bricht das Profil stabwerkartig um. An der Giebelseite zwei Fensterachsen, links neben der rechten Fensterachse eine Reihe aus kleinen Einzelfenstern, darüber jeweils zwei kleine quadratische Fenster.

Der Westflügel, auf einem um 1800 entstandenen Plan (Apell, Ziegenhain, 1901) noch nicht enthalten, ist dreigeschossig, 13 Fensterachsen breit; die Fenster der linken Achse liegen zwischen den Geschossen (Treppenhaus). Drei verschieferte Zwerchhäuser. Als fürstliches Wohnhaus dienten Nord- und Ostflügel. Einem Grundriss von W. Dilich zufolge (Michaelis, S. 61 ff.) bestand der Nordflügel noch im frühen 17. Jh. nur aus dem (später: dreiachsigen) Steinhaus und einem westlich anschließenden einachsigen Anbau. Letzterer wurde offenbar im 17. Jh. auf die heutige Größe verlängert und mit einem einheitlichen Fachwerkgeschoss und drei Zwerchgiebeln aus Fachwerk versehen. Dieser westliche Teil des Nordflügels ist heute neun Achsen breit, das Obergeschoss ist verschiefert. Gliederung durch drei Zwerchhäuser, seitlich des mittleren finden sich zwei Risalite.

Der östliche Teil des Nordflügels ist an der Ostseite gegenüber dem Ostflügel zurückgesetzt. An der Nordseite drei Achsen, zwischen der 2. und 3. Achse von Osten risalitartiger Vorbau. Ostseite zwei Achsen breit, im mittleren sichtbaren Geschoss zwischen den Fenstern ein halbkreisförmig vorkragender Erker mit zweifach abgetrepptem Sockel und Einzelfenster, mit Falz und Karnies profiliert. Zwischen dem Erker und den seitlichen Fenstern finden sich die Gewändereste von spitzbogigen Einzel- oder (links) Doppelfenstern, auf Grund ihrer lanzettartigen Form in das 14. Jh. zu datieren. Die gekuppelten Zwillingsfenster daneben sind rechteckig und mit Falz und Kehle profiliert. Dilich zeigt vier Geschosse, im Erdgeschoss durch eine massive Querwand in zwei Räume geteilt, in den Obergeschossen durch eine Fachwerkquerwand in zwei Hälften und die östliche durch eine Längswand nochmals geteilt.

Der Ostflügel ist dreigeschossig, etwa in der Mitte ist ihm auf der Ostseite ein runder Treppenturm aus vier Massiv- und zwei Fachwerkgeschossen vorgestellt. Die Fachwerkgeschosse sind polygonal und kragen auf Voluten-Eckkonsolen leicht vor. Dendrochronologische Bestimmung der Fachwerkteile: nach 1655 (Jazewitsch, Jahrringchronologie, 1954/55). Die ohne Waldkante durchgeführte Datierung legt eine Datierung des Turmaufbaues um 1660 nahe, wofür die gedrungene Form gegenüber den steileren Helmen der Zeit um 1600 sprechen könnte. Die Fenster am Turm sind rechteckig, unprofiliert. Am Ostflügel selbst Kreuzstockfenster. Nach Dehio, Hessen, 1982 ist der Flügel 1420 bez. Bei diesem Bauteil handelt es sich um den Fürstenflügel, der mehrere Portalgwände mit Korb- und Vorgangbogen sowie gestäbten Gewänden aus der Zeit um 1540 enthält. Alle drei Stockwerke werden durch eine Massivwand in zwei Hälften geteilt, der Zugang zur Wendeltreppe erfolgt jeweils in der nördlichen Hälfte. Diese war zu Dilichs Zeit in den beiden unteren Geschossen sowie im Dach in kleinere Räume aufgeteilt, im 1. Obergeschoss gab es einen größeren Saal mit einem schmalen Chorraum und im 2. Obergeschoss einen Saal. Die südliche Gebäudehälfte hatte im Erdgeschoss einen Gewölberaum (Hofstube?) und war in den übrigen Geschossen aufgeteilt. Die im Inbentar des 16. Jh. genannten Appartements aus Stube, Kammer mit Abort und Vorraum müssen sich über beide Flügel erstreckt haben. Aus diesem Bereich stammen die durch Zeichnungen und eine Rechnung von 1616 bezeugten Wandmalereien. Sie lassen vermuten, dass sich der Saal und das Gemach der Landgräfin im 2. Obergeschoss befand und der Saal eine Breite von rund 15,5 bis 16,0 m (53 ½ Schuh) und einer Länge von knapp 20 m (66 Schuh bzw. 26 Balken nebeneinander). Im Einzelnen ist das Bildprogramm durch die Rechnung des Malers Wilhelm Kirchhof überliefert, der 1616 die Erneuerung der Ausmalung vorzunehmen hatte (vgl. Küch, Wandmalereien, 1907 sowie Dörr, Ziegenhain, 2000). Danach enthielt der Saal der Landgräfin eine Laubwerkmalerei mit Wappen und Löwen, ferner als Ganzfiguren David und Goliath. Im benachbarten Gemach der Fürstin fanden sich sechs biblische „Historien“ und 44 kleinere Szenen, alle in Fraktur beschriftet. Der Raum war rund 7,8 m breit und rund 16,8 m lang (= halbe Gebäudebreite und halbe Gebäudelänge; bei Michaelis, 1900, im 2. Obergeschoss mit der Nummer 29 eingetragen, neben dem Saal mit der Nummer 18 und den Kammern mit den Nummern 21 und 22). Zum Programm im Einzelnen kann auf Küch, Wandmalereien, 1907, S. 9 (re. Spalte: Auflistung) sowie Dörr, Ziegenhain, 2000 (Abbildungen!), verwiesen werden. Die Malerei betrifft die Balkendecke und offenbar die Untersicht der Fußbodendielen (mit „Buhnen“ kann keine Täfelung gemeint sein, wie Dörr, 2000, S. 61, vermutet, denn die Rechnung spricht von „oben an dero buhnen 26 balken“). Dargestellt sind insgesamt neben den erwähnten biblischen Historien auch lebende und verstorbene Mitglieder der landgräflichen Familie. Küche schreibt die ursprünglichen Gemälde (1542) dem Hofmaler Michael Müller zu.

Der Verbindungsbau im Südosten ist zweigeschossig mit Satteldach, mit zur Straße hin fünf Fensterachsen; im Erdgeschoss Einzel-, im Obergeschoss gekuppelte Zwillingsfenster.

Würdigung

Von außerordentlicher Bedeutung ist Ziegenhain als Festung, deren Stärke sie nach dem verlorenen Schmalkaldischen Krieg vor der Schleifung bewahrte. Es handelt sich um eine rondellierte Anlage von in Deutschland seltener Regelmäßigkeit. Als landgräflicher Wohnort hat Ziegenhain demgegenüber keine große Rolle gespielt, das Schloss war folglich nicht sehr repräsentativ, sondern im Ganzen eher schlicht.

Literatur, Quellen

Grundriss des Hauptflügels von 1825 s. Wolter-von dem Knesebeck, S. 286

Michaelis, Dilich, 1900, S. 61-63 u. 76-78

Apell, Ziegenhain, 1901

Küch, Wandmalereien, 1907

Kramm, Malereien, 1938

Jazewitsch, Jahrringchronologie, 1954/55

Reuter, Wandmalereien, 1977

Reuter, Ziegenhain, 1989

Dehio, Hessen, 1982, S. 950 f.

Brohl, Bautagebücher, 1992

Dörr, Ziegenhain, 2000

Wolter-von dem Knesebeck, Dynastie, 2004